Die Kür bleibt Garanca schuldig

Die Kür bleibt Garanca schuldig
Elīna Garanča Mezzosopran Wiener Philharmoniker Christian Thielemann Dirigent

Der Dirigent Christian Thielemann ist den Wiener Philharmonikern seit vielen Jahren eng verbunden, es vergeht keine Saison, in der er nicht am Pult dieses Spitzenorchesters steht. So folgt auch dieser Konzerttermin in Salzburg einer langen Tradition. Thielemanns Programmwahl ist wenig überraschend, der Dirigent engt seinen musikalischen Kosmos erstaunlich stark ein, was vereinzelt durchaus kritisch gesehen wird. Aber so kommt das Publikum auch bei diesem Konzert in den Genuss einer ausgereiften, verinnerlichten Interpretation.

© SF / Marco Borrelli

An den Anfang gestellt sind die so genannten Wesendonck-Lieder, gleichsam ein Unterpfand der Amour fou des verheirateten Komponisten mit der Ehefrau seines Gönners Otto Wesendonck in Zürich. Mathilde Wesendoncks Lyrik ist literarisch gesehen vielleicht nur gehobener Durchschnitt, was ihr aber eigen ist, sind die eingeflossenen starken Emotionen, deren Emphase Wagner meisterhaft in seiner Vertonung aufnimmt. Die Lieder demonstrieren den Gleichklang zweier Seelen, deren Liebe unerfüllt bleiben musste. Christian Thielemann zelebriert diese, teilweise als Skizzen zu „Tristan und Isolde“ zu sehenden Stücke mit äußerster Sensibilität, dabei unterstützt von den Wiener Philharmonikern, die einen wunderbar zarten Klangteppich ausbreiten.

© SF / Marco Borrelli

Die Mezzosopranistin Elina Garanca übernimmt den vokalen Part. Ihre technisch ausgezeichnet gebildete Stimme scheint in den höheren Registern immer sicherer zu werden, vielleicht zeichnet sich da sogar ein Fachwechsel ab. Aber leider wird auch in diesem Konzert ein Manko dieser Künstlerin wieder überdeutlich: Emotion ist Garancas Sache nicht, so sehr ihr auch einige schöne, schwebende Höhen gelingen, eine Interpretation sucht man in ihrem Gesang vergeblich. Thielemann nimmt stellenweise extrem langsame Tempi, die so angestrebte Verinnerlichung wäre aber Sache der Solistin, die das ganz offensichtlich nicht leisten kann. Da bleiben Leerstellen, idiomatisch saubere Textgestaltung ist die Pflicht, die Kür bleibt Garanca schuldig.

Bei Bruckners Vierter, der „Romantischen“, ist Thielemann endgültig in seinem Element. In den letzten Jahren hat er mit „seiner“ Sächsischen Staatskapelle Dresden einen vollständigen Zyklus der Bruckner-Symphonien aufgeführt, der auch auf Ton- und Bildträgern vorliegt.

© SF / Marco Borrelli

Schon bei den einleitenden Sequenzen der Bläser und der Flöten meint man einen nicht unwesentlichen Unterschied zu den Dresdner Konzerten wahrzunehmen. Die Einsätze sind noch sauberer, der Streicherklang weicher und geschmeidiger. Auch Thielemanns Ansatz erscheint weniger wuchtig oder gar schroff.

Auffällig breit sind die Tempi im Andante, so breit, dass man meint, die Musik würde etwas zerfasern. Der Einstieg in das Scherzo dagegen gelingt schwungvoll. Diese Aufführung macht erstaunlich große Unterschiede zwischen den beiden Orchestern deutlich. Das Blech scheint in Dresden immer ein wenig schärfer zu klingen, die Streicher weniger süß und geschmeidig. Das mögen subjektive Wahrnehmungen sein, aber es spricht für Thielemanns Flexibilität, sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen. Das Finale mit Rückgriffen und Zitaten aus dem Kopfsatz klingt in machtvollen Bläserfiguren aus. Thielemanns Autorität im Falle Bruckner ist einmal mehr unbestritten. Starker, lang anhaltender Applaus für Dirigent und Orchester.

Salzburg, Großes Festspielhaus (Arte-Livestream, zeitversetzt)

Elina Garanca, Mezzosopran
Christian Thielemann, Dirigent
Wiener Philharmoniker

Richard Wagner, Wesendonck-Lieder
Anton Bruckner, Symphonie Nr.4 Es-Dur

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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