“Così fan tutte” unter Teodor Currentzis bei Musicaeterna

“Così fan tutte” unter Teodor Currentzis bei Musicaeterna
© Teodor Currentzis Musicaetera

Der Dirigent Teodor Currentzis bringt es auf den Punkt: „Innerhalb eines einzigen Tages stolpern Leute, die für ihre Geliebten sterben würden, durch eine lächerliche Maskerade und heiraten am Ende ihnen sehr vertraute wildfremde Menschen.“

Keine schlechte Charakterisierung von Mozarts Oper Così fan tutte, vor allem genau das, was Teodor Currentzis in seiner nach dem Figaro mit Spannung erwarteten Einspielung daraus macht (Musicaeterna/Sony 88843095832). Nach dem ersten Durchhören war ich erst einmal erschlagen von so viel Gehörtem, das sich so drastisch von meinen bisherigen Così-Erfahrungen unterscheidet. Der Perfektionist Currentzis schwört sein Ensemble auf eine sehr leidenschaftliche, todernste Lesart dieser hintergründigen Komödie ein. Hier geht es von Beginn an um sehr viel mehr als hundert Zechinen für eine gewonnene Wette.

Mit einer Leidenschaftlichkeit, die man sonst eher im Don Giovanni verortet, stürzen sich die Protagonisten in das emotionale und musikalische Abenteuer, und nichts klingt, wie ich es gewohnt bin. Wie schon in seiner von mir eben hier hochgelobten Figaro-Einspielung setzt er statt des Cembalos ein Fortepiano für die Rezitativ-Begleitung ein, eine Entscheidung, die sehr positiven Einfluss auf den musikalischen Gesamteindruck hat. Zudem lässt er die Sänger in Verzierungen und Appoggiaturen geradezu schwelgen, aber nicht als Selbstzweck, immer auch als Stilmittel. Extrem die Tempi, aber auch sie stets einer übergeordneten Dramaturgie folgend, die aus dieser Oper das ganz große Seelendrama macht. Fiordiligis „Per pietà“ als langsamste, und die Einleitung zur Hochzeitsszene als schnellste Passage markieren die Extrempunkte dieser Interpretation, die vielleicht nicht Jedermanns Sache ist, mich persönlich aber voll überzeugt. Hier geht es um nichts weniger als das Seelenheil aller Charaktere.

Waren die Gesangssolisten noch die Schwachstelle der Figaro-Einspielung, agiert hier ein klug zusammengestelltes Ensemble mit zum Teil denselben Teilnehmern auf sehr hohem Niveau. Nach ihrer für mich großartigen Figaro-Gräfin gelingt Simone Kermes nun eine beseelte, vor Emotion förmlich berstende Fiordiligi, die ihre ohnehin schwierige Partie noch mit zahlreichen Verzierungen und Trillern schmückt. Im Timbre gut von ihr abgesetzt, aber nicht weniger virtuos die Dorabella der Schwedin Malena Ernman. Die sonst bei dieser Rolle auch gern überbetonte Koketterie bleibt sie weitgehend schuldig, und das ist Teil des dramaturgischen Konzepts. Selbst die Despina der Anna Kasyan kommt ernsthafter daher, als man es in dieser Rolle erwartet. Dafür liefert sie die für mich seit Lisa Otto bei Karajan I überzeugendsten Karikaturen des Doktors und Notars. Zweimal darf sie hell auflachen, in einer Weise, die das Herz wärmt. Auch die Besetzung der männlichen Rollen muss man als geglückt bezeichnen. Der Amerikaner Kenneth Tarver verfügt über einen tenore di grazia und weiß ihn gut einzusetzen. In manchen Passagen vielleicht ein wenig rau, aber auch das mag als Charakteristikum dieser Rolle durchgehen. Christopher Maltman, der erfahrene Don Giovanni, kehrt auch hier ein wenig den Macho hervor und bringt viel interessantes Timbre zum Einsatz, ist zudem stimmlich gut vom Alfonso des Konstantin Wolff zu unterscheiden. Der wird dem Konzept folgend ein wenig seiner Drahtzieher-Rolle beraubt. Currentzis lässt hier eher das Schicksal walten und der sehr zurückgenommene Schluss lässt auch akustisch ahnen, dass ein Happy-End in dieser Geschichte keine Option ist. Sehr viel mehr dramma als giocoso also.

Musicaeterna, das sind Orchester und Chor des Opernhauses Perm, folgt ihrem Chef in seiner sehr klaren und strengen Interpretation, besonders sei hier Maxim Ernelyanychev am Fortepiano hervorgehoben.

Menü schließen