Charisma schlägt Pandemie

Das zweite Saison-Konzert der Berliner Philharmoniker gerät bereits zu einem frühen Höhepunkt der Saison. Die beiden aufgeführten Werke haben nicht nur die Tonart c-Moll gemeinsam, ihre niedrigen Opuszahlen weisen sie auch in beiden Fällen als relativ frühe Werke ihrer Komponisten aus.

Der Solist in Beethovens drittem Klavierkonzert ist der junge russische Pianist Daniil Trifonov, längst ein Liebling des internationalen Konzertpublikums. In Berlin war er bisher fast ausschließlich mit russischen Komponisten zu hören, nun wagt er sich auch an Beethoven. Es scheint, als habe er nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild verändert, er trägt jetzt Bart und hat seine Stirnhaare deutlich gekürzt, auch sein Anschlag scheint maskuliner, energischer zu sein.

Dieses Konzert, in Teilen wie eine Hommage an den Stil Mozarts erinnernd, erreicht erst in der Kadenz die für Beethoven charakteristische Wucht. Im zweiten Satz, der über weite Strecken vom Solisten dominiert wird, breitet Trifonov in langsamem Tempo einen wunderbar lyrischen Klangteppich aus, der in seiner Konzentriertheit eine ungeheure Spannung aufbaut, und am Ende in Schönheit erstirbt. Im dritten Satz wird das keck klingende Hauptthema, das viel vom Mozart’schen Geist in sich trägt, vielfach bis zum schmissigen Finale variiert.

Der hypersensible Pianist ist wohl eine Art Gegenentwurf zu dem etwas robusteren Igor Levit. Was Trifonov an diesem Abend an pianistischer Raffinesse bietet, gepaart mit selbstbewusstem Willen zur Interpretation, löst beim Publikum Begeisterung aus, die er nach mehreren Hervorrufen mit einer kurzen Zugabe belohnt.

Mendelssohns erste Symphonie, das Werk eines 15-jährigen, trägt noch deutliche Zeichen einer jugendlichen Sturm-und-Drang-Phase in sich, was schon der stürmische Beginn deutlich macht. Ab und an tauchen Vorgriffe auf Mendelssohns geniale Sommernachtstraum-Komposition auf. Diesem kraftvollen Beginn folgt ein ruhig fließendes, lyrisches Andante. Im dritten Satz treten deutlich tänzerische Elemente hervor, die im Trio wieder etwas zurückgenommen werden. Der Finalsatz besticht durch eine kecke, verspielte Melodie, die Streicher spielen Pizzicati und drängen schmissig zur Schlussapotheose. Petrenko verinnerlicht diese Musik, tanzt förmlich auf dem Podium und setzt für sein Dirigat seine ganze Körpersprache ein. Das im Konzertsaal eher selten gehörte Werk löst beim Publikum , das leider nicht einmal die ohnehin wenigen erlaubten Sitzplätze komplett füllt, Begeisterung aus.

Beim Schlussapplaus eine Besonderheit: Der sonst so bescheidene, den Applaus eher scheu entgegennehmende Petrenko badet diesmal förmlich in den Bravo-Rufen und lässt sich minutenlang feiern. Offenbar hat nicht nur das Publikum ihn, sondern er auch das Publikum vermisst. Auch bei diesem Konzert frustrieren die Corona-bedingten Einschränkungen, auch diesmal ist der dreiviertel leere Saal bedrückend, aber an diesem Abend bietet das Charisma der Künstler Trifonov und Petrenko doch so etwas wie Heilung und Stillung einer Sehnsucht nach großer Musik.

Philharmonie Berlin, 1. September 2020

Daniil Trifonov, Klavier

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko, Dirigent

Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op.37

Felix Mendelssohn Bartholdy
Symphonie Nr. 1 c-Moll op.11

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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