Barrie Kosky inszeniert Verdis „Falstaff“ an der Komischen Oper Berlin als Kochrezept

Barrie Kosky inszeniert Verdis „Falstaff“ an der Komischen Oper Berlin als Kochrezept
Rezensionsmotiv - Falstaff (2022, Kosky)

Die Intendanz des charismatischen Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin nähert sich nach zehn Jahren ihrem Ende. Davor zeigt er aber noch seine Falstaff-Produktion, die in anderer Besetzung 2021 beim Festival in Aix-en-Provence ihre Premiere hatte.

Kosky räumt gründlich auf mit einigen Klischees dieser „Altherren-Oper“. Bei ihm ist Falstaff ein noch jugendlicher, etwas verlotterter Mann, und vor allem ein Gourmet. Die erste Szene hindurch arbeitet dieser Genießer an der Zubereitung einer nicht näher definierten Speise, schnippelt Gemüse, würzt kräftig und im Zuschauerraum meint man die Aromen der Gewürze riechen zu können. Sinnestäuschung oder Wirklichkeit? Egal, die Idee überzeugt. Auffällig, wie konsequent der Regisseur die Ausstattung der Szene spartanisch simpel hält, kaum Dekorationen, schlichte Alltagskostüme. Dafür spielt er die Trumpfkarte seines handwerklichen Könnens als Regisseur aus: kluge Personenführung bis ins kleinste Detail, der gesamte Ablauf der Oper ist akribisch choreographiert und das hoch motivierte Ensemble setzt das punktgenau um.

Ein optischer Höhepunkt ist das Stelldichein Falstaffs mit Alice Ford: hier wird ein grotesk dimensioniertes Torten-Büffet aufgebaut, das jeden realistischen Rahmen sprengt, aber als Symbol für exzessiven Genuss gelesen werden kann. Die Gourmet-Idee wird noch auf andere, originelle Art durchgespielt: in den kurzen Lichtpausen zwischen den Akten hört man über die Lautsprecheranlage lustvoll beschriebene Kochrezepte, die einem tatsächlich großen Appetit machen.

Copyright: Iko Freese/drama-berlin.de

Kosky beweist einmal mehr, dass Reduktion ein gutes Rezept für die Opernregie bedeutet. Im finalen Bild, dem Park von Windsor, verzichtet er vollständig auf ein Bühnenbild und kann sich dabei auf die famosen Chorsolisten des Hauses verlassen, die dieses Mal nicht nur singen, sondern auch tanzen müssen. Ihnen, und den Solisten, gelingt ein wunderbar stimmiges Schlussbild, die finale Fuge krönt eine auf das Wesentliche reduzierte Aufführung. Weniger ist auch in diesem Fall mehr.

Möglich wird eine solche Produktion aber auch nur mit einem Ensemble, wie Kosky es hier zur Verfügung hat. Allen voran der spielfreudige, verschmitzte Scott Hendricks in der Titelrolle, der bei aller Derbheit auch den Charme dieser Figur glaubhaft macht. Sein Gegenspieler Ford wird vom wunderbaren Günter Papendell mit ausladendem, kräftigen Bariton gesungen, seinem Schwiegersohn in spe, Fenton, gibt der junge Oleksiy Palchykov mit schön timbriertem, lyrischen Tenor Profil.

Bei den Damen ist das Quartett von ausgesuchter Homogenität, was für die vielen Ensembleszenen wichtig ist. Ruzan Mantashyan als Alice Ford überzeugt mit klarem, höhensicheren Sopran, ihre Tochter Nannetta wird von Alma Sadé mit schönen, lyrischen Kantilenen ausgestattet. Meg Page ist bei Karolina Gumos in besten Händen. Mit komödiantischem Witz und fulminantem Mezzosopran versieht Agnes Zwierko die Mrs. Quickly. In den Nebenrollen können Jens Larsen, James Kryshak und Ivan Turšič wie gewohnt überzeugen, sie alle bilden ein Ensemble aus einem Guss.

Generalmusikdirektor Ainārs Rubiķis hat das gut gelaunt aufspielende Orchester der Komischen Oper bestens im Griff, nur an manchen Stellen würde man sich mehr Lyrismen wünschen, das Tempo der Aufführung geht stellenweise darüber hinweg.

Nach dem Ende der Aufführung entlässt Kosky sein Publikum aber noch lange nicht. Es gibt an diesem Abend die Verleihung des Titels Berliner Kammersänger an Karolina Gumos und Günter Papendell zu feiern. Kultursenator Klaus Lederer würdigt die beiden Sänger mit einer herzlichen Ansprache und man freut sich für die beiden sympathischen Künstler, deren langjährige Treue zum Haus an der Behrenstraße damit belohnt wird.

Berührend ist der Moment, in dem der Sänger Oleksiy Palchykov um Hilfe für seine Heimat, die Ukraine, bittet und ein schlichtes Volkslied a cappella vorträgt. Am endgültigen Ende des Abends erneut Jubel, Blumen, Freude. Komische Oper Berlin eben.

Foto: Copyright: Iko Freese/drama-berlin.de

Komische Oper Berlin,  29. April 2022 PremiereGiuseppe Verdi   Falstaff Commedia lirica in drei Akten [1893]
Libretto von Arrigo Boito Koproduktion mit dem Festival d’Aix-en-Provence und der Opéra National de Lyon


Barrie Kosky
Inszenierung
Ainārs Rubiķis Dirigent

Sir John Falstaff  Scott Hendricks

Ford  Günter Papendell

Fenton  Oleksiy Palchykov

Dr. Cajus  Ivan Turšić

Bardolfo  James Kryshak

Pistola  Jens Larsen

Mrs. Alice Ford  Ruzan Mantashyan

Nannetta   Alma Sadé

Mrs. Quickly  Agnes Zwierko

Mrs. Meg Page  Karolina Gumos

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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