„Aida“ aus Paris: Ägypten liegt an der Seine

„Aida“ aus Paris: Ägypten liegt an der Seine

Ein sehr französisches Ägypten bietet diese zwischen verschiedenen Stilen changierende Inszenierung. Man meint noch eine Spur des Ägypten-Kults nach Napoleons Feldzug zu erhaschen. Wahrscheinlich ist aber doch die Entstehungszeit der Oper gemeint. Seltsam mehrschichtig stellt sich der 1. Akt dar, ist es eine Vernissage in einem ethnologischen Museum? Blutig ernst wird es, als Radames sich mit dem Schwert ritzt, und einen Totenschädel mit seinem Blut benetzt. Das deutet eher auf frühgeschichtlich heidnische Bräuche hin.

Es ist ein großes Verwirrspiel, das die Regisseurin Lotte de Beer hier inszeniert. Aida tritt in Form einer eher unschönen, lebensgroßen Gliederpuppe auf, die von drei Technikern bewegt wird. Die unglückliche Sondra Radvanovsky, die Sängerin der Partie folgt im schwarzen Hosenanzug dieser seltsamen Gruppe und liefert den Gesang.

Die Szene in Amneris‘ Gemächern zeigt uns ihr Gefolge in Dessous und Strapsen. Hübsch anzusehen, aber stilistisch fragwürdig. Interessant und originell dagegen der Triumphmarsch. Hier marschiert kein siegreiches Heer auf, es werden vielmehr „lebende Bilder“ arrangiert, nachgestellte Szenen aus historischen Gemälden. Auch Amonasro, Aidas Vater erlebt man nur im Gefolge seiner eigenen Marionette. Die jeweils drei Puppenspieler wirken höchst störend, vor allem im Nilakt, sie verhindern die Intimität der Vater-Tochter-Szene. Besonders störend ist die Trennung Puppe und Sängerin im Schlussbild. Da wird sinnlos Atmosphäre geopfert. Den tieferen Sinn der Puppen kann man ohnehin nicht verstehen, sieht man darüber hinweg ist Lotte de Beer eine kluge Inszenierung gelungen, die vor allem in der Personenführung überzeugt.

Musikalisch waren die ägyptischen Götter der Aufführung gnädig. Michele Mariotti und das Orchester der Opéra national de Paris bereiteten die solide Basis für ausnahmslos große Sängerleistungen.

Ein ausgeruhter Jonas Kaufmann zeigte, warum ihn viele für den derzeit besten Tenor der Welt halten. Auch wenn man nicht dieser Meinung ist, muss man einräumen, dass er die anspruchsvolle Rolle des Radames ohne Fehl und Tadel sang. Sein falsettierter Schwellton am Ende seiner großen Arie war tatsächlich Weltklasse. Auch sonst überzeugte er durch gute Phrasierung und Präsenz. Ab dem dritten Akt verfiel er wieder ein wenig in seine Unart des Stemmens und Pressens, aber ein ägyptischer Feldherr in Nöten darf das.

Eine positive Überraschung war die für Elina Garanca eingesprungene Ksenia Dudnikova. Sie verfügt über einen satten dramatischen Mezzosopran, der nicht nur raumgreifend ist, sondern durchaus auch zu schönen Details und Piani fähig ist. Als Amonasro erlebte man den bewährten Ludovic Tezier, der seinen Bassbariton gepflegt einsetzte. In der Titelrolle zog Sondra Radvanovsky alle Register ihres Könnens, und das sind nicht wenige. Die Sängerin, die man an der Met in New York jahrelang als Zweitbesetzung verhungern ließ, verweist derzeit die meisten Sopranistinnen auf die Plätze.

Auch die Besetzung der Nebenrollen war durchaus erlesen. Dmitry Belosselskiy (Ramfis), Alessandro Liberatore (Un messaggero), Soloman Howard (Il re)  und Roberta Mantegna (Sacerdotessa) hielten dem hohen Niveau der Hauptdarsteller stand. Wenn der Chor und die Statisterie keine Masken getragen hätte, man hätte auf Corona beinahe vergessen können.

L’opéra national de Paris, Livestream, 18. Februar 2021
Giuseppe Verdi,  Aida

Soloman Howard (Il re)
Ksenia Dudnikova (Amneris)
Sondra Radvanovsky (Aida)
Jonas Kaufmann (Radames)
Dmitry Belosselskiy (Ramfis)
Ludovic Tézier (Amonasro)
Alessandro Liberatore (Un messaggero)
Roberta Mantegna (Sacerdotessa)
Orchestre de l’Opéra national de Paris
Michele Mariotti  Dirigent
Lotte de Beer  Regie

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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