Die Aufzeichnung dieser Aufführung stammt bereits aus dem Jahr 2011, aber in ihrer konsequenten Ästhetik ist sie zeitlos. Das Werk nimmt im Schaffen Lullys, aber auch in der französischen Barockoper insgesamt eine besondere Stellung ein. Der Komponist schuf damit eine praktisch neue Gattung, die tragédie lyrique. Den Anstoß dazu soll sogar der König Ludwig XIV. selbst gegeben haben, der als äußerst musikalisch galt und Lully als seinen Hofkomponisten verpflichtet hatte.
Tatsächlich ist Atys eine aus dem bisherigen Rahmen fallende Oper. Die Uraufführung fand am 10. Januar 1676 im Schloss Saint-Germain-en-Laye in Anwesenheit und zu großer Zufriedenheit des Königs statt. Spätestens im 19. Jahrhundert geriet Lully und mit ihm dieses Werk in Vergessenheit, erst ab den 1970er Jahren setzte eine Renaissance seiner Werke ein, speziell die Musteraufführung von Atys, die hier zu erleben ist, machte Furore.
William Christie und sein Klangkörper Les Arts Florissants widmen sich dieser Musik hingebungsvoll und kompetent. Anfangs wartet man etwas irritiert auf die gewohnte Struktur, nämlich Rezitativ und Arie, aber diese Trennung ist in dem Werk aufgehoben. Der musikalische Fluss wird nicht unterbrochen, damit nimmt Lully beinahe schon die durchkomponierte Oper des 19. Jahrhunderts vorweg.
Christie steht für die Aufführung ein exquisites Sänger-Ensemble zur Verfügung. Der Tenor Bernard Richter singt sich buchstäblich die Seele aus dem Leib, sein schlanker, technisch gut geführter Tenor zeigt auch am Ende der dreistündigen Aufführung noch keine Ermüdungserscheinungen. Ihm ebenbürtig der schöne, lyrische Sopran von Emmanuelle de Negri, die als seine verhinderte Geliebte Sangaride wunderschöne Kantilenen hören lässt. Der zürnenden Göttin Cybèle verleiht Stéphanie d’Oustrac mit schlankem, äußerst flexiblem Mezzosopran das geforderte Gewicht. Bis in die kleinsten Rollen ist das Ensemble vorzüglich besetzt.
Eine Besonderheit dieser Aufführung ist ihre opulente Ästhetik. Offenbar hat man versucht, den Stil der Uraufführung so weit wie möglich zu rekonstruieren. Das bedeutet, dass Bühnenbild, Kostüme, ja sogar die Choreographie uns auf eine Zeitreise in das 17. Jahrhundert schicken. Es gelingt tatsächlich, den Zauber dieser höfischen Aufführung neu erstehen zu lassen. Höhepunkt ist die Schlummermusik in der Traumszene des dritten Aktes. Hier verbinden sich ätherisch schöne Musik mit prachtvollen Kostümen, einer raffinierten Choreographie und schaffen so etwas wie ein Gesamtkunstwerk. Ein Labsal für von zeitgenössischen Operninszenierungen frustrierte Liebhaber dieser Kunst. Ein Vergnügen für Auge und Ohr in jedem Fall.
Jean-Baptiste Lully
ATYS
Les Arts Florissants
William Christie
Naxos NBDO132V
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de