Mehrfach hatte der international gefeierte Bariton Johannes Martin Kränzle Schuberts berühmten Liederzyklus auf dem Konzertpodium und der Bühne bereits gesungen. Als der Sänger 2024 zum zweiten Mal mit einer lebensbedrohlichen Krankheit konfrontiert war, entschloss er sich zu der Plattenaufnahme, die sein Vermächtnis hätte werden können. Inzwischen ist Kränzle wieder auf dem Weg zur Genesung, die Einspielung stellt gottlob nicht den Endpunkt seiner großen Karriere dar.
Bemerkenswert ist sie aber in jedem Fall. Dem Sänger gelingt eine Textverständlichkeit, die den Abdruck der Liedtexte im Booklet unnötig macht, und sich in der klaren, schlackenlosen Gesangslinie fortsetzt.
Kränzle verfügt über einen eindrucksvollen Stimmumfang, den er wunderbar differenziert als Stilmittel einzusetzen weiß. Der Sänger und sein langjähriger Begleiter Hilko Dumno wandten einen raffinierten Trick an, um die verschiedenen Stimmungen der Lieder herauszuarbeiten, sie änderten die Tonarten einzelner Lieder und erreichten damit einen bemerkenswerten Reichtum an Klangfarben und Differenzierung.
Kränzles stimmliches Potential ist auch jenseits der sechzig ungebrochen reichhaltig, und ermöglicht ihm eine gleichermaßen vokal farbenreiche, als auch intellektuell anspruchsvolle Interpretation. Er tritt den Beweis an, dass letztere nicht mit schwindenden stimmlichen Mitteln einhergehen muss.
Es hat lange keine Winterreise-Einspielung gegeben, die vokal wie von der Textbehandlung ähnlich ausgereift und befriedigend war.
Johannes Martin Kränzle hat sich damit einen Spitzenplatz in der kaum mehr zu überblickenden Winterreisen-Diskographie ersungen.
Ein Muss für die Liebhaber gepflegter Gesangskultur!
Franz Schubert
Winterreise
Johannes Martin Kränzle
Hilko Dumno
Hänssler HC 25011
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de